Das Tagebuch der Wanderer/ Vergessene Helden

Dies ist mein erster Beitrag über Menschen die ich ganz besonders bewundere weil sie im Moment größter Gefahr die richtigen Entscheidungen trafen.
Aufgrund dieser Entscheidungen konnten viele Menschenleben gerettet werden und wir ALLLE sind diesen Menschen zu größtem Dank verpflichtet.
Aber gleichzeitig hatten die Entscheidungen die diese Menschen trafen, sehr NEGATIVE Auswirkungen für sie.
Aufgrund der heutigen, völlig chaotischen Lage in der Welt, will ich darauf hinweisen das es auch anders geht.
Ich will heute mit einem ganz besonderen Menschen anfangen, der dafür gesorgt hat das Sie diesen Beitrag heute lesen können.
Sein Name war Stanislaw Petrow.

Im September 1983, meldete die sowjetische Frühwarnzentrale, den Anflug amerikanischer Atomraketen.
Es bleiben nur Minuten, um den Gegenschlag mit den eigenen Raketen zu starten.
Das Schicksal der Welt hängt von der Entscheidung eines einzigen Mannes ab, Stanislaw Petrow.
Der psychische Druck einer solchen Entscheidung muss unvorstellbar hoch gewesen sein.
Er entschied sich gegen den Start, weil er trotz des Durcheinanders einen unglaublich kühlen Kopf bewahrte und sich sagte, das der Feind nicht mit einem Bruchteil seiner Atomraketen einen Krieg anfangen würde.
Der Wahnsinn des kalten Kriegs in Hochform.
Die Sowjets hatten seit Mitte der siebziger Jahre mehr als 400 Raketen des Typs SS-20 “Saber” in Dienst gestellt, Spitzname: “Schrecken Europas”.
Zwei Drittel der modernen Raketen waren auf Westeuropa ausgerichtet, auf Ziele wie London, Paris, Bonn. Jede Rakete verfügte über eine Sprengkraft von bis zu einer Megatonne, 50-mal mehr als die 1945 über dem japanischen Nagasaki abgeworfene Atombombe “Fat Man”.
Im Frühjahr 1983 berechneten Ärzte aus Ulm die Folgen eines Angriffs mit einer sowjetischen SS-20 auf ihre Stadt.
Ihr Ergebnis: Im Bruchteil einer Sekunde würde über Ulm ein Feuerball von mehreren Hundert Metern Durchmesser entstehen.
Die Innenstadt würde ausradiert, an der Stelle des gotischen Münsters ein Krater klaffen.
Selbst im Umkreis von vier Kilometern Entfernung um die City würden Gebäude wie Kartenhäuser zusammenfallen.

Die Bilanz einer einzigen Bombe: 123.000 Tote, 80.000 Schwerverletzte.

Moskau rechnete jederzeit mit einem Atomangriff
Der Westen bescherte uns die Aufrüstung mit den Pershing-II Raketen.
Die Stimmung war aufgeheizt, Moskau rechnete jederzeit mit einem Überraschungsangriff der USA, Sowjets waren überzeugt, Amerika plane den Erstschlag.
Wo Oberst Petrow arbeitete – davon hatte seine Familie keine Ahnung.
Frau Raissa und die beiden Kinder stellten nie Fragen. Am 25. September 1983 verabschiedeten sie Petrow, um 20 Uhr begann seine Schicht in Serpuchow-15.
Der Ort, rund 90 Kilometer südlich von Moskau, war auf keiner frei erhältlichen Landkarte verzeichnet, eine geschlossene Stadt, errichtet um einen Stützpunkt der Streitkräfte der Luftverteidigung.
Hier befand sich die Zentrale des satellitengestützen Raketenwarnsystems “Oko”, hier diente Oberst Petrow.

Der Feind soll früher sterben – das ist die Logik des Kalten Krieges

Obschon vom Rang Offizier, war Petrow selbst Zivilist, ein studierter Ingenieur.
“Die Welt kann froh sein, dass ich in dieser Nacht das Kommando geführt habe – und kein dumpfer Militär”, sagt Petrow heute.
Vielleicht hätte ein Militär anders entschieden, streng nach Vorschrift, vermutlich falsch. Petrow dagegen vertraute seinem Gefühl.
Der Nutzen der damaligen Frühwarnsysteme war damals sehr begrenzt.
Dessen Satelliten können einen bevorstehenden Nuklearschlag zwar rund zehn Minuten früher melden als die klassische Radarüberwachung, doch ihn verhindern können sie nicht
Immerhin konnte man den vernichtenden Gegenschlag früher starten, als wenn man sich nur auf Radarüberwachung stützt,
Dutzende Millionen Menschen auf der Seite des Feindes stürben dann wenige Minuten früher. In der Logik des Kalten Krieges ist das ein Fortschritt.
Nachdem die Amerikaner als erste ein eigenes Frühwarnsystem in Betrieb genommen hatten, arbeiteten die Sowjets fieberhaft daran, den Rückstand wettzumachen.
Ab 1972 wuchsen in Serpuchow-15 die Antennen von “Oko” in die Höhe, Petrow war von Anfang an dabei.
Die Computerprogramme stammten von ihm, und auch das Handbuch zur Bedienung des neuen Systems.
Für Petrow war es der Job, den er sich stets erträumt hatte. “Ich war so glücklich, als ich erfuhr, dass ich mit dem Kosmos zu tun haben würde.”

Sirenen künden vom Beginn der Apokalypse

Doch an jenem 26. September verwandelte sich der Traum in einen Alptraum.
Kurz vor Mitternacht jaulten die Sirenen, auf dem 30 Meter messenden Bildschirm vor Petrow leuchteten rote Buchstaben auf: START.
Das System hatte den Abschuss einer Atomrakete von einer US-Basis registriert. Spionagesatellit Kosmos 1382, seit einem Jahr im All, meldete den Beginn der Apokalypse. 25 Minuten blieben bis zum Einschlag, irgendwo in Russland.
Im Kontrollzentrum Serpuchow-15 richteten sich die Augenpaare von 200 Mitarbeitern auf Oberst Petrow.
Dass ein Atomschlag stattfinden würde, schien damals nicht nur möglich, sondern sogar höchst wahrscheinlich.
Russische Spione hatten kurz zuvor von einem geplanten Großmanöver der Nato erfahren. “Able Archer 83” sollte Ende November starten – und einen Atomkrieg simulieren.

Falscher Alarm oder totale Vernichtung?

Petrow jedoch bewahrte Ruhe. Er erhob sich von seinem Pult. Jeder seiner Untergebenen sollte ihn sehen.
Er konnte jetzt keine Panik gebrauchen, er brüllte: “Hinsetzen! Weiterarbeiten!”
Petrow dachte in diesem Moment weder an die Millionen möglicher Opfer eines Nuklearkonflikts noch an seine Familie, er dachte an Teelöffel: Niemand löffelt einen Wassereimer langsam mit einem Teelöffel aus, sagte er sich leise, niemals würden die USA einzelne Raketen auf die UdSSR feuern.
Ein nuklearer Angriff würde mit der Vernichtungskraft von Hunderten Raketen gleichzeitig erfolgen, so hatte er es gelernt. “Nur: Sicher war ich mir in dem Moment natürlich nicht”, erinnert sich Petrow.
Dann rief er seinen Vorgesetzten an. “Es ist ein falscher Alarm”, rapportierte Petrow.
Die Leitung knisterte. “Verstanden.” Als Petrow auflegte, jaulten die Sirenen erneut: Kosmos 1382 meldete den zweiten Raketenstart und wenig später den Anflug drei weiterer Raketen.
Die Systeme in Serpuchow-15 liefen einwandfrei, sie melden keine Fehler. Petrow misstraute den Riesenrechnern, die in 16 Schränken leise schnurrten, dennoch: “Wir sind klüger als die Computer.
Wir haben sie geschaffen.”

750 Millionen Tote, 340 Millionen Verletzte – die Bilanz eines Atomkriegs

Niemals war die Welt der atomaren Vernichtung näher als in dieser Nacht, sagt Bruce Blair, US-Abrüstungsexperte und heute Chef des World Security Institute. “Die oberste sowjetische Führung hätte, wenn sie über einen Angriff informiert worden wäre und da sie binnen Minuten einen Entschluss fällen musste, die Entscheidung für einen Vergeltungsangriff getroffen.” Andropow, der damals bereits vom Krankenbett aus regierte, hätte wohl den “roten Knopf” gedrückt – und damit einen tatsächlichen Nuklearschlag der Amerikaner provoziert.
Der SPIEGEL berichtete 1983, was ein Atomkrieg für die Welt bedeuten würde: Rund 5000 Sprengköpfe würden über dichtbesiedelten Gebieten in Nordamerika, Europa und Asien niederregnen, 1124 Städte, praktisch alle Zentren mit mehr als 100.000 Einwohnern, würden ausgelöscht.
Der Cambridge-Mediziner Hugh Middleton rechnete weltweit mit 750 Millionen Toten und 340 Millionen Verwundeten.
Doch dank Stanislaw Petrow kam es nicht dazu.
Nach wenigen Minuten bestätigen die Radarsysteme seine Einschätzung. Es war ein Fehlalarm.
Vermutlich täuschte ein von einer seltenen Wolkenformation reflektierter Sonnenstrahl das sowjetische Warnsystem, Satellit Kosmos 1382 deutete den Lichtblitz als Start einer Rakete.

Tadel von der eigenen Führung, Ehrung vom Klassenfeind

Oberst Petrow hat seiner Frau Raissa nie erzählt von jener Nacht und den fünf Raketenphantomen, der Vorfall unterlag der Geheimhaltung.
Erst 1998 enthüllte ihn Generaloberst Juri Wotinzew, damals Petrows Vorgesetzter, in einem Interview. Raissa aber starb schon 1997 an Krebs.”

Bereits 1984 freiwillig aus dem Militärdienst ausgeschieden, arbeitet der Russe bis zu seiner Rente bei einem Forschungsinstitut und verbringt seine letzten Lebensjahre nach dem Tod seiner Frau bescheiden und zurückgezogen. Nur durch Zufall erfährt die Welt ein halbes Jahr nach seinem Ableben im Mai dieses Jahres vom Tod des Mannes.

Auch wenn Stanislaw Petrow selbst nie ein Held sein wollte: Er wird für immer als der Mann in Erinnerung bleiben, der die Welt und Millionen von Menschen vor einem nuklearen Inferno bewahrt hat.

„Die beste Art einen Feind zu zerstören, ist ihn sich zum Freund zu machen!“ (Stanislaw Petrow)

Hier ist der Link zur großartigen Dokumentation über Stanislaw Petrow.
https://www.arte.tv/de/videos/039911-000-A/der-mann-der-die-welt-rettete/

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